Dieses Mal kam die Predigt im Gottesdienst der Frühjahrssynode aus unserer Region. Marit Hole, die als Springerin gerade die Vakanazvertretung in Illertissen macht, hat sie gehalten:
Lesung: Exodus 16,2-3.11-18
Liebe Mitglieder und Gäste der Dekanatssynode!
Wenn es um die Mittagszeit bei uns daheim an der Türe läutet, und die Kinder von der Schule kommen, dann werde ich meistens mit dieser einen, zentralen und alles entscheidenden Frage begrüßt: „Was gibt es zum Essen?“ Und der Satz „ich bin am Verhungern“, folgt gleich auf dem Fuße. Wehe mir, wenn ich nichts Anständiges auf dem Herd stehen habe. Zu viel Gemüse etwa oder Kartoffeln anstelle von Nudeln. Das kommt gar nicht gut an. Dann werden die Gesichter lang und das Gemurre ist vorprogrammiert.
Eine ähnliche Enttäuschung, vielleicht etwas zurückhaltender und vornehmer vorgebracht, kenne ich auch von den Patientinnen und Patienten in der Klinik. Wer einen anstrengenden Vormittag voller herausfordernder Therapien und Visiten hinter sich hat, freut sich auf ein gutes Essen – und ist frustriert, wenn es nicht lecker schmeckt.
Im ersten Moment kommt uns das Verhalten der Israeliten in diesem Bericht von den Wachteln und dem Manna auf der Wüstenwanderung auch recht kindlich entgegen, fast so, wie bei mir daheim. Die Bibel beschreibt, wie sie die Köpfe zusammenstecken, wie sie sich zusammenrotten und wie sie murren. „Hätte uns der Herr doch getötet, als wir noch in Ägypten waren! Dort saßen wir vor vollen Fleischtöpfen und konnten uns am Brot satt essen…“ Murren, darin steckt das Murmeln. Das ist das Geräusch, das den Klagen und Vorwürfen vorausgeht. Das ist der Ärger, der noch keine Worte gefunden hat.
Aber die Israeliten beschweren sich nicht darüber, dass das Essen ihnen nicht passt oder schmeckt. Denn ihnen ist das Essen ganz ausgegangen. Sie wissen nicht, was sie ihren Kindern auf den Teller legen sollen. Vergessen ist das Hochgefühl, die Begeisterung darüber, dass sie vom Sklavendasein in Ägypten befreit sind. Wenn die eigenen Kinder hungern, dann muss an der Sache etwas faul sein. Dann kann es so nicht weitergehen. Stünde dieser Gott wirklich auf ihrer Seite, könnte er den Hungertod in der Wüste nicht zulassen. „Hätte Gott uns doch in Ägypten sterben lassen…“
An vielen Stellen geht die Bibel sehr kritisch um mit diesen murrenden Israeliten. Immer wieder wird ihre Undankbarkeit gegenüber Gott herausgestellt, ihre kurze Sicht. Aber diesmal bleibt der Tadel aus. Irgendwie haben die Menschen recht. Und so folgt der Klage die Rettung auf dem Fuße. Mit dem süß schmeckenden Manna und mit den Wachteln können sie den Hunger ihrer Kinder stillen. Die Gegenwart Gottes bei seinem Volk bewährt sich jetzt im alltäglichen Überlebenskampf. Sie ermöglicht den Israeliten, neu zu sehen:
Israels Menschen entdecken, dass auch die karge Landschaft der Sinai-Halbinsel Nahrung bereithält: ihre Augen werden geöffnet für die Schwärme erschöpfter Wachteln, die sich abends zur Rast niederlassen. Und sie entdecken eine Speise, die man auch heute noch probieren kann. „Manna“ heißt dieses Wüstenbrot. Natürlich war das nicht der ganze Speisezettel. Im Lauf der Zeit entdeckten die Israeliten noch manches andere, was zum Überleben half.
Trotzdem: die Tage, da Israel Manna und Wachteln entdeckt, sind entscheidend für seine Glaubensgeschichte. Denn sie entdecken nicht nur neue, bislang ungewohnte Nahrungsquellen. Sie entdecken: dieser Gott lässt uns nicht im Stich; dieses Land lässt uns nicht im Stich, auch wenn wir zuerst nur wahrnehmen, wie wüst und karg es dort ist. Hier gibt es eine Zukunft. Es war doch kein Fehler, die sichere Unfreiheit gegen die ungewisse Freiheit zu tauschen.
Warum vertiefen wir uns in diese alte Geschichte vom Volk Israel in der Wüste?
Sie ahnen es: nicht allein das Volk Israel war auf dem Weg durch die Wüste
Auch wir wissen darum, wie unerbittlich die Wüste menschliches Leben bedrohen kann. In Krankheit. Im Abbruch von Beziehungen. In den Lebensträumen, die sich nicht erfüllen. Unser Leben ist verletzlich. Es braucht nicht viel, bis eine Wüste entsteht. Und oft genug tragen wir selbst einen Teil dazu bei.
Es liegt auch uns so nahe, zu klagen und zu murren. Wären wir doch in Ägypten geblieben…. Wo soll das hinführen? Herr, wo bleibst Du? Wir spüren nichts von Dir. Da ist nur Leere. Wir kommen hier um.
Bei meinen Begegnungen im Therapiezentrum in Burgau erlebe ich aber manchmal genau das Gegenteil. Ich spreche mit Patientinnen und Patienten, die sich ganz entschieden darum bemühen, die es sich selbst verordnen, nicht zu murren und zu jammern. Auch dann, wenn es ihnen schlecht geht. Sie versuchen, das, was sie beschwert, zu verbergen, manchmal sogar vor sich selbst. Sie haben verinnerlicht, dass wir im Leben immer positiv denken sollen. Ganz besonders aber möchten sie Ihre Angehörigen nicht belasten. Den Ehepartner, der zuhause plötzlich allein zurechtkommen muss. Die Kinder, die ja eh´ schon so viele Umstände haben mit den Fahrten zur Klinik, den Arztgesprächen und dem ganzen Papierkram. Sie wollen auch den Pflegerinnen ihre Arbeit so unkompliziert wie möglich machen, und ja niemandem zur Last fallen. Also warten sie lieber nochmal eine halbe Stunde, ehe sowieso jemand ins Zimmer kommt, auch wenn der Schlauch der Sonde so blöd scheuert oder sie die ganze Nacht wach liegen. Und wenn die Familie zu Besuch ist, nehmen sie all ihre Energie zusammen, um optimistisch zu sein und die Sorgen der Anderen nicht zu vergrößern. (Es ist unangenehm auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Vielleicht sogar auf die Hilfe Gottes?)
Der Bericht vom Manna und den Wachteln schickt uns auf einen anderen Weg. Er drängt eben nichts weg. Er macht leise aber unmissverständlich Mut zum Murren. Mut dazu, uns an Gott zu wenden, selbst dann, wenn der Ärger noch nicht gebändigt, unsere Formulierungen noch unausgereift sind, und wir noch nicht alle eigenen Möglichkeiten vollständig ausgeschöpft haben.
„Ich habe das Murren der Israeliten gehört“, sagt Gott zum bedrängten Mose. Gott greift ein. Nicht spektakulär mit Feuer und Rauch, nein – ganz einfach: er hört hin. Er hört auch das, was hinter unseren unbeholfenen, manchmal kindlichen Worten steckt. Manchmal ändert das was, wenn einer in seiner Not gehört wird. Manchmal eröffnet das den Raum, selbst in der Wüstennot etwas zu entdecken, das die Seele nährt und neue Kraft schenkt. An erster Stelle steht dann nicht die Aufforderung: denke positiv und sieh auf die Chance, die in der Krise liegt. An erster Stelle steht das Vertrauen: Gott hört mich.
Was für einzelne menschliches Schicksale gilt, betrifft uns auch gemeinsam, auf den Durststrecken und in der Wüstennot, in der wir als Gemeinschaft unterwegs sind. Wir fragen uns schon so lange: warum erreichen wir mit der frohen Botschaft, die wir in unseren Gemeinden verkünden, so viele Menschen nicht? Warum laufen sie weg? Dabei sind wir doch längst aufgebrochen, haben frischen Wind in unsere Kirchen gelassen, probieren Neues und trauen uns was. Aber die Austrittszahlen steigen trotzdem. Das ist so gemein! Gott, so höre doch. Deine Kirche ist in Not. Du hast verheißen, dass einst alle Völker gemeinsam zu deinem Berg ziehen, und dein Lob aus vielen Stimmen erklingt. Stattdessen stehen unsere Kirchen leer.
Und auch als Menschengemeinschaft scheitern wir, irren durch selbstgemachte Wüsten: unsere Waffen und unser Eigennutz veröden und verwüsten ganze Landschaften, zerlegen Städte in Trümmerfelder und machen aus Oasen lebensfeindliche Orte. Warum gelingt es uns nicht, dem Bösen zu wehren, in Frieden zusammenzuleben, endlich Pflugscharen aus den Schwertern zu machen und unsere Erde zu bewahren. Dabei sind wir auch hier aufgebrochen, haben uns auf den Weg gemacht. Wir ringen um das Für und Wider von Waffenlieferungen und darum, auf welchem Weg wir am schnellsten Frieden erreichen. Wir setzen Klimaziele und bemühen uns zukunftsweisende Gesetze. Aber der Weg ist so weit und unsere Schritte mickrig, unsere Entschiedenheit zu schwach angesichts der Aufgaben. Wir murren. Wir klagen: Gott, wie lange soll das noch gehen?
Den Israeliten fällt in der Wüste das stärkende Manna zu Füßen. Sie öffnen die Augen und lernen, zu fragen. Man hu? Was ist das? Was ist das, Gott, das mir da gerade begegnet? Es ist ungewohnt und fremd. Es sind nicht die Fleischtöpfe Ägyptens. Es entspricht auch nicht meiner Vorstellung vom gelobten Land, in dem Milch und Honig fließen. Sie müssen umdenken. Sie lernen, genau hinzusehen. Sie testen das Manna und stellen fest: „es macht ja satt. Die Wüste lebt ja. Es gibt Bewahrung auch dort, wo Leben bedroht ist, fern alles Vertrauten und fern aller Gewohnheiten. Gott ist auch auf Durststrecken an unserer Seite.“ Sie gewinnen eine neue Sicht und neue Sicherheit. Denn Gott hört. Er geht mit, auch in Zeiten des Umbruchs und der Wüste.
Manna und Wachteln. Es war nichts Besonderes, das Gott damals auftischte. Eine einfache Wegzehrung. Sie schenkte Kraft für den Weg durch die Wüste. Wachteln und Manna. Brot und Wein. Auch wenn wir gleich Abendmahl miteinander feiern, sind die Zutaten nichts Besonderes. Und doch: sie sind Zeichen der Gegenwart Gottes: Er hört. Er ist da! Gegenwärtig in dem, was Leben vermittelt und neue Hoffnung schenkt. Ob in Wüstenzeiten oder in Zeiten der Fülle: Gott ist da! Auch hier und heute.
Amen